Lernen ist ein zutiefst subjektiver Prozess und kann von außen nicht gesteuert werden. Den heutigen Schulen, der Organisation des Lernens in der Schule und dem Bildungssystem insgesamt liegen andere Vorstellungen und Annahmen über den Prozess des Lernens, Vorstellungen und Annahmen des Weltbildes der klassischen Physik, zugrunde. Weil diese Wahrnehmungsweise nicht zu den heutigen Herausforderungen passt und eigentlich wie auch in anderen Wissenschaftsbereichen überwunden werden könnte, aber der Wechsel weitgehend nicht vollzogen wird, steckt die Erziehungswissenschaft noch im 19. Jahrhundert fest.
Vorstellungen und Annahmen über das Lernen verändern sich in der Zeit. Auch Schulen und das Bildungssystem wurden weiterentwickelt, Vorstellungen und Denken über das Lernen sind heute andere. Inwiefern also steckt die Organisation des Lernens und das Bildungssystem dennoch im 19. Jahrhundert fest?
Anfänge des heutigen Bildungssystems können im 19. Jahrhundert verortet werden:
- Einführung der Schulpflicht 1806 durch Wilhelm von Humboldt: Grundschule für alle und weiterführendes Erlernen von Lesen, Schreiben, Rechnen in der Volksschule für das Volk, humanistische Bildung am Gymnasium für die Elite.
- Fächerkanon und Fachsystematik als Strukturmuster für die Unterrichtsorganisation
- Hundert Jahre später kommen Berufsschulen dazu, um für den Beruf fit zu sein, später die Realschulen als der bessere Teil der Volksschulen.
- Heute besteht ein mehrgliedriges und durchlässiges Schulsystem mit vielen Namen und Spezialisierungen.
Schule und Unterricht sehen heute anders aus als vor hundert Jahren (Bild der Schule um 1900).
- Aufhebung der Geschlechtertrennung
- Überwindung der schwarzen Pädagogik, Abschaffung der Prügelstrafe
- Ausweitung des Fächerkanons
- Orientierung am Erwerb von Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen statt an der Vermittlung eines Wissens, Individualisierung des Lernens und Integration
- Projektunterricht, jahrgangsübergreifendes Lernen, Lernbüro und freie Lernzeiten
- Einsetzung von Bildungsplänen statt Fortsetzung der Lehrpläne, eigenverantwortliche Schule
- Vorschulische Bildung und Lebenslanges Lernen, Digitalisierung
Aber geblieben sind:
- Zeitstruktur: Lernen für alle im vorgegebenen Takt, überwiegend 45- oder 90-Minuten-Einheiten
- Fachstruktur: Lerninhalte werden fachspezifisch geordnet unterrichtet, Lehrende sind Fachlehrkräfte
- Raumstruktur: Lernräume sind überwiegend noch Klassenräume, ergänzt durch Lernräume an anderen Orten
- Arbeitsstruktur: Lehrende sind Wissenden und für das Lehren zuständig, Lernende sind die zu bildenden und für das Lernen zuständig, sie sollen entsprechend vorgegebenen Prozessen Wissen und Kompetenzen erwerben
- Entscheidungsstruktur: Lehrende entscheiden über Ziele, Inhalte und Prozesse, Lernende werden nicht aktiv und grundsätzlich in die Entscheidungen eingebunden, sie dürfen nur in definierten Bereichen mitentscheiden.
Die Organisation heutiger Schulen entspricht in vielerlei Hinsicht modernen Organisationseinheiten. Schulen sollen als eigenverantwortliche Schulen zu lernenden Schulsystemen werden: Zielsetzungen und strategisches Handeln, Arbeitsteilung und flache Hierarchien, Anpassung der (Produktions-)Prozesse an veränderte Erfordernisse und kontinuierliche Optimierung, Projektorganisation und modernes Organisationsmanagement. Effizienzsteigerungen und Verbesserung der schulischen Prozesse sind damit möglich. Aber ein zentraler Unterschied macht den Unterschied: Bildung ist keine Schraube und auch kein Auto.